Nikolaus Schletterer
wie es ist, so kann es nicht bleiben
Opening: 17. March 2017, 7pm
March - May 2017
Text zur Ausstellung
Nikolaus Schletterer „Wie es ist, so kann es nicht bleiben“ - Gedanken zur Veränderlichkeit der Dinge
Thomas Morus’ Gedanke einer radikalen Veränderung des Sozialsystems zu seiner Zeit ist in der aktuellen Ausstellung von Nikolaus Schletterer in der Galerie Widauer gleichsam Leitmotiv seiner Werke. Jene Vorstellung einer in Morus Roman als philosophische Dialoge verfassten Utopia von einer „idealen“ Gesellschaft wird von Schletterer in mehrerlei Hinsicht aufgegriffen. Ausgangspunkt seiner aktuellen Werke, sowohl der Papierskulpturen als auch der Fotografien, sind einfache, alltägliche Materialien wie Papier, Leintuch, Rettungsdecke, Zeitungspapier, Zeichnungen, etc. Diese unscheinbaren Alltagsgegenstände erscheinen in seinen Werken als skulpturale Elemente, geknüllt, gefaltet, geschichtet. In den 2 x 3m großen Chromolux-Fotografien einer Rettungsdecke wird die Materialität des Objekts und seine innere Struktur sichtbar. Eine Rettungsdecke besteht aus zwei Schichten, einer Polyesterfolie und einer Aluminiumschicht, wobei durch die gelbe Folie die Aluminiumschicht metallisch golden schimmert. In einem subtilen fotografischen Spiel aus Schärfe und Unschärfe, Farbpräzision und Reflexion erfährt das Objekt eine Transformation hin zu einer Objektivierung des Gegenständlichen. Der inhaltliche Bezug tritt zu Gunsten einer formalen Auflösung des Gegenständlichen in strukturale Bedingungen zurück. Die Faltungen, Reflexionen, Schärfe, Dimension, unterschiedliche Farbintensitäten werden zu einem Vexierbild des Realen. Bei dem in abstrakten Grautönen gehaltenen Baryt-Diptychon wird die Materialität und Struktur des Leintuchs zum eigentlichen Thema des Werkes.
Die Papierskulpturen erinnern an Fundstücke, verweisen auf längst vergangene Zeiten. Ihnen ist etwas Ursprüngliches anheim, wie Relikte früherer Zivilisationen. Morus’ Utopia scheint wieder aufzuleben, etwa mit dem meteoritenähnlichen Wandobjekt aus Papier. Die bedruckten Seiten, zusammengesetzt aus Werken des Künstlers, Zeitungen, Alufolien, Papierresten, die an geologische Ablagerungen erinnern, evozieren beim Betrachter Vorstellungen ursprünglicher Welten. Schletterer entwirft in seinen neuen Werken Utopien hypothetischer Urkontinente, wie Rodinia. Auch der Urozean Mirovia, der jenen Urkontinent umspannte, ist konzeptueller Teil seines Universums. Die Werke Schletterers sind künstlerische Mahnmale einer an der fundamentalen notwendigen Veränderbarkeit des Zuständlichen orientierten Weltsicht. „Wie es ist, so kann es nicht bleiben“, allen Dingen ist jener intendierte Wandel gemein, die Dinge erscheinen im Augenblicklichen so, wie sie sind, sind aber zugleich ständigem Wandel ausgesetzt. Diese Setzung ist einerseits philosophisch phänomenologisch zu sehen – was wir sehen ist eine Momentaufnahme, ein möglicherweise bereits im Wandel begriffener Ist-Zustand – zum anderen ist hier durchaus auch ein moralisch, sozialer Ansatz erkennbar. Die Fotografie ist nur scheinbar dokumentarisch, sie ist eigentlich eine formal ästhetische Interpretation des Künstlers, und das Papier als veränderlicher Stoff erscheint in fragil labilen Konstruktionen auf zarten Eisengerüsten als kosmisch utopisches Relikt einer möglichen, intendierten Wirklichkeit, die aber ständigem unvorhersehbaren Wandel unterliegt: eine in jeder Hinsicht aktuelle Sicht der Dinge.
Gaby Gappmayr, 2017