Herwig Weiser
Opening: 20. May 2022, 7pm
May - June 2022
Text zur Ausstellung
Eine Möglichkeit, die vielfältigen künstlerischen Ausdrucksmittel von Herwig Weiser -Maschinen, Installationen, Filme, Sound und Zeichnungen - unter einen gemeinsamen und grundlegenden Nenner zu bringen, wäre, sie als Bewusstseinstechniken zu begreifen, um geläufige und stabilisierende Strukturen des Rationalen und Funktionalen, seien es gesellschaftliche Ordnungssysteme und Architektur, Materialien der Technik und Wissenschaft, die Taktung der Wahrnehmung vermittels ihrer Anschauungsformen Raum und Zeit oder das Gefüge des eigenen Selbst, ins Schwanken zu bringen und in einen deliriösen Zustand zu treiben, in welchem die Grenze zwischen Beseeltem und Unbeseeltem verschoben und das Rationale in seiner Triebhaftigkeit sichtbar gemacht wird.
Für die zweiteilige Wandprojektion Haus der Regierung hat Weiser Teile seines gleichnamigen Films von 2018 in einem Raster aus 64 einzelnen Tableaus angeordnet, wobei der rhythmisch versetzte Ablauf der Sequenzen durch einen Algorithmus gesteuert wird. Der Titel bezieht sich auf den Drehort, ein Wohngebäude an der Moskauer Uferstraße, das zwischen 1928 und 1931 gebaut wurde und hohen Angehörigen des Staatsapparates zur Verfügung stand. Es wurde zum Schauplatz gegenseitiger Überwachung und stalinistischer Säuberungsaktionen.
Die Geschichte des Ortes findet in der filmischen Atmosphäre Eingang, durch den Einsatz von weit strahlenden Taschenlampen werden Gebäudeteile und Räume, u.a. ein Stiegenhaus, ein Korridor, ein Kinosaal abgetastet, partiell beleuchtet und skulptural präsent. Menschliche Gestalten, befestigt an elastischen Bändern, werden von der Architektur ausgespuckt und wieder verschluckt. Die räumlichen Strukturen gewinnen ein Eigenleben, ein pulsierendes Dasein jenseits des Koordinatensystems.
Die spezielle, ruckelnd erhöhte Geschwindigkeit des Films beruht auf der Aufnahmetechnik, die als Hybrid zwischen Stopp-Motion und Realfilm, aus der Animation extrem langsam ausgeführter Bewegungen und Langzeitbelichtungen resultiert. Diese Verzahnung unterschiedlicher Geschwindigkeiten wird in der gitterförmigen Anordnung der Ausstellungssituation wiederholt: Zwischen Sukzession - innerhalb des ablaufenden Einzelbildes - und Simultaneität - der Gesamtheit als Arrangement – hin und herspringend, wird die Wahrnehmung der BetrachterIn zu einer doppelten Perspektive gezwungen, in der verschiedene Geschwindigkeiten als jeweils abhängig von der eigenen Intentionalität erlebt werden. Kommt man der hohen Dichte an Details innerhalb der einzelnen Ansichten kaum hinterher, so scheint sich dasselbe Rauschen in der Gesamtansicht zu verlangsamen, Bewegung nicht mehr als das, was objektiv messbar den Dingen anhaftet, sondern als etwas, was der Zeit eine eigene Perspektive verschafft. Die antimimetische Struktur des Rasters wird von Weiser mit Geschichte aufgeladen, welche keiner Narration entspricht. Als seltsam isolierte Parallelwelten erscheinen die einzelnen Ansichten, die sich im selben Moment zu einer gemeinsamen rauschhaft kristallinen Struktur formieren.
Die Parzellierung in gleichwertige Zellen begründet in Foucaults Überwachen und Strafen als Ansicht der totalen Kontrolle moderne Subjektivität im Sinne der stetigen Sichtbarkeit. Die inhaltliche Thematik von Haus der Regierung wiederholt sich im Display der Projektion, das an Überwachungsvideos erinnert, jedoch läuft der Versuch der Beherrschung ins Leere, die tatsächlichen Abläufe erscheinen nicht fassbar, die Aufmerksamkeit sprunghaft und limitiert. So, wie die Machtverhältnisse im Haus der Regierung abrupt wechseln konnten, schlägt das Sehen in ein Gesehen werden, der omnipotente Blick in den Kontrollverlust um, innerhalb dessen die eigene Subjektivität limitiert, defizitär und ausgeliefert erscheint.
Die Arbeit Entree besteht aus zwei horizontal nebeneinander angebrachten, doppelwandigen Leuchtkästen, auf welchen in ähnlicher Weise eine Vielzahl parallel ablaufender koordiniert versetzter Sequenzen abgebildet werden, wobei allerdings im Unterschied zu Haus der Regierung Teile des gesamten Films statt einzelner Abschnitte simultan sichtbar sind und sich jeweils, bedingt durch die Anordnung der Glasplättchen, ein scharfes und ein unscharfes Bild abwechseln. Die verringerte Anzahl an Kacheln zeigt das ursprünglich auf Super 8 gedrehte filmische Ausgangsmaterial von 1999, das denselben Namen trägt. Gegenstand dieser Aufnahmen ist unter anderem der Kinosaal des französischen Freizeitparks Futuroscope, dessen Attraktionen auf interaktiven Technologien und Zukunftsphantasien basieren. In die Vergangenheit gerückt erscheinen bereits die ursprünglichen Aufnahmen, die stark mit analogen Mitteln in der Dunkelkammer bearbeitet wurden und ihre eigene Medialität inszenieren. In größerem Ausmaß als Haus der Regierung zerrinnen, zerdehnen, vervielfachen und verkeilen sich die räumlichen Strukturen, lösen sich in kaleidoskopartigen Formationen und Facettierungen auf und geraten in einen polyrhythmischen Wellengang, der die pochenden Kontraktionen einer lebendigen Architektur offenbart. Waren es in der Arbeit zum Haus der Regierung mehrfach erlebte Zeiten, so wird der Stellenwert und Standpunkt des Subjekts in Entree durch die abwechselnden Schärfegrade in unterschiedliche räumliche Abstände versetzt und verunsichert.
Bei den ausgestellten Zeichnungen handelt es sich um CAD Ansichten für Maschinen, die Weiser zeichnerisch bearbeitet hat. Durch die manuelle Handschrift werden die Pläne mit leiblich-affektiv wirkender Präsenz erweitert und das Zeichnerische formsprengend statt formgebend inszeniert. Es zeugt von einer Berührung, die das Funktional-Allgemeingültige des Bauplans gegen seinen Strich bürstet und zu einer Kontaktreliquie, zum Zeugnis unbekannter Zwecke macht.
Melissa Blau, 2022