Herbert Hinteregger
Opening: March 2024
Zu den neuen Bildern von Herbert Hinteregger
Im Livestream zum jüngsten Album von Tocotronic trägt deren Frontmann Dirk von Lowtzow ein dezent längsgestreiftes Hemd. Streifen, mit dem französischen Historiker Michel Pastoureau in der westlichen Welt lange als negativ gesehen – gestreifte Kleidung war den Außenseitern und Geächteten vorbehalten – stehen erst seit dem 18. Jahrhundert als gute Streifen für Freiheit und Jugend. Spätestens mit dem Abbeyroadhemd sind sie als Reverenz an den berühmten Zebrastreifen des so benannten Beatlesalbums in der Popkultur angekommen. Und Längsstreifen machen schlank.
Auch in der abstrakten Malerei erweitern vertikale Streifen den Raum nach oben. Das sehen wir in den minimalistischen Arbeiten von Agnes Martin bis Barnett Newman, von Bridget Riley bis Daniel Buren. Mit Farbe, Pinselstrich und Textur geht es auf Leinwand mit formaler Reduktion auf die Linie letztlich um zwei Fragen: Jene nach der Malerei und jene nach dem Bild. Letztere wurde immer dann am radikalsten gestellt, wenn es sich auf seine reine Materialität zurückzieht, seine Wirklichkeit sich in der reinen Anschauung vollzieht. „Kunst ist Kunst als Kunst, alles andere ist alles andere“ schreibt Ad Reinhardt 1952 programmatisch in seinem Manifest „Art-as-Art“.
Herbert Hinteregger stellt in seiner aktuellen Ausstellung bei Johann Widauer nach der letzten installativen Präsentation 2021 wieder das Einzelbild ins Zentrum. Klassisch und mittelachsig auf 1,55 m gehängt sehen wir Beispiele dreier jüngst entstandener Werkblöcke: Neben den Streifenbildern, den Camouflagebildern, monochrome Bilder mit am Leinwandgeviert verdrehter Farbfläche.
Hinteregger folgt darin seiner grundsätzlichen Haltung ein Bild als ein System von Kräften zu verstehen und bleibt nichts anderem verpflichtet als dem Bild selbst. Letztlich geht es darum, eine Ausgewogenheit zwischen Intuition und Intellekt anzustreben - mit Rudolf Arnheim den „beiden Gesichtern des Geistes“ und „beide im Zusammenspiel unabdingbare Zweige der Erkenntnis“. In der Romantik noch Rivalen hat die Moderne hier eine Harmonisierung gebracht. Hinteregger löst auch diese ein.
Die Kräfte in seiner Malerei sind Material, Form und Kolorit. Die Energie der Farbe war und ist in seinen bisherigen „Kugelschreiberbilden“ schon zurückgenommen. In der Wahl des Malmaterials geht er in seinen neuen Bildern aber nun noch einen Schritt weiter. Die Verwendung gebundener Sande verweist noch direkter als das Seeblau der BIC-Kugelschreiber auf eine unmittelbare Natur- und Wirklichkeitserfahrung. Der Sand kommt vom Inn, der Ostsee, dem Bergbach und dem Tennisplatz.
Hinteregger erweitert hier die materialtechnischen Bedingungen von Malerei, greift aber auch auf deren Traditionen zurück, etwa wenn er wie Agnes Martin das Grundiermittel Gesso als Malfarbe verwendet.
Und gilt die Verwendung einer schwarzen Leinwand wie das ausschließlich quadratische Format seiner neuen Bilder etwa als ironisches „Chapeau“ vor Malewitsch? Vielleicht ein neuer Zug in Herbert Hintereggers Arbeit wie die Andeutung einer gestischen Handschrift in den mit klarem Gesso ausgeführten Bildern. Ein Hinweis auf die Zukunft? Es bleibt spannend.
Bleibt des Sängers Hemd. Auch das ein Beitrag zur Erkenntnis. Intellektuell wie intuitiv zeugt es von Haltung und sicherem Geschmack.
Günther Moschig